Die Ordnungstherapie nach KNEIPP befasst sich mit den Themen Lebensordnung, Gesundheitserziehung und Psychohygiene. Sie vermittelt die für ein gesundes Leben erforderlichen Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele. Auch die zeitordnende Therapie, die benachbarte Psychosomatik und bei KNEIPP selbstverständlich die „Beziehung zum Herrgott“ sind Bestandteil der Ordnungstherapie. Disharmonien werden heute meist durch Disstress, Overstress oder einfach „Stress“ zum Ausdruck gebracht.
„Der menschliche Körper ist eines der wunderbarsten Gebilde aus der Schöpferhand Gottes. Jedes Gliedchen paßt zum Gliede, jedes strenggemessene Glied zum harmonischen, zu staunenswerter Einheit verbundenem Ganzen.“
(S. KNEIPP)
In unserer heutigen leistungsorientierten Zeit ist vielen Menschen der biologische Rhythmus zwischen Leistung und Erholung, Anspannung und Entspannung, Schlaf und Wachsein verloren gegangen. Dieses natürliche Wechselspiel unterliegt der Steuerung durch das vegetative Nervensystem. Wenn der Mensch hier aber ständig ändernd eingreift - z. B. durch künstliches Licht oder wach haltende bzw. schlaf- und beruhigungsfördernde Mittel -, so wird auf die biologischen Rhythmen ein schädlicher Einfluss ausgeübt, der sich mit der Zeit zunächst durch Funktionsstörungen an Organen (Fehlregulationen) bemerkbar machen kann. Dazu können zählen: Verdauungsbeschwerden, Herzrhythmusstörungen, Nervosität, Angst, Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungszustände, Leistungsminderung, Muskelverspannungen, Kopfschmerz oder Durchblutungsstörungen, Müdigkeit und viele weitere sogenannte funktionelle (stressbedingte) Störungen.
Im Rahmen von lebensordnenden Maßnahmen nach KNEIPP soll deshalb durch ständige kleine und mittlere Reize der Körper zu einer positiven Reaktion veranlasst werden, indem das vegetative Nervensystem (das „Lebensnervensystem“) wieder trainiert, harmonisiert und stabilisiert wird.
„Den Abgehärteten greift nichts an, den Verweichlichten bringt jedes Blatt Papier in Aufregung. Ein abgehärteter Körper besitzt auch den größten Schutz vor den Krankheiten der Seele. Die Abhärtung ist ein für alle Male die Hauptsache, wo diese fehlt, da fehlt auch die richtige Gesundheit und Kraft.“
(S. KNEIPP)
Die Lebensordnung nach KNEIPP umfasst in der modernen Zeit - neben der „Seelenhygiene“- auch die zeitordnende Therapie (Chronohygiene), also eine bewusste Zeitgestaltung mit Blick auf den angemessenen Wechsel von Anspannung und Entspannung, Aktion und Ruhe, Tag und Nacht. Autogenes Training, Atemtherapie, Muskelrelaxation oder Yoga können unterstützend und stabilisierend für den entspannenden Teil zum Einsatz kommen.
Wirkung und Ziele
Der Einzelne ist zu größerer Verantwortlichkeit im Hinblick auf die eigene, aktive Gesundheitspflege angehalten. Durch mehr Wissen und Einblick kann er nach kritischer Standortbestimmung seine Einstellung gegenüber dem eigenen gesundheitsschädigenden Verhalten überprüfen und positive Alternativen - z. B. Sport, Gymnastik, Hobbys, Urlaubsgestaltung - entwickeln. Ziel ist die Erstellung eines ganz persönlichen, auch im Alltag umsetzbaren Gesundheitsfahrplans.
Leitgedanken für Gestresse
„Im Maße liegt die Ordnung, jedes Zuviel und jedes Zuwenig setzt an Stelle der Gesundheit Krankheit.“
(S. KNEIPP)
„Wer bemüht ist, sein eigenes Glück zu suchen, der ist auch den anderen gern behilflich dazu.“
(S. KNEIPP)
Das vegetative Nervensystem
Das vegetative Nervensystem regelt die unbewusst ablaufenden Körperfunktionen – z. B. Atmung, Herzaktion, Magen-Darmtätigkeit – und ist über den Willen nicht steuerbar.
Es besteht aus zwei gegensätzlich wirkenden Anteilen:
- vermittelt leistungssteigernde, umweltorientierte Impulse
- vermittelt die unbewusste Beteiligung der Organe an seelischen
Vorgängen
- läuft anatomisch entlang der Wirbelsäule und bildet auch das
sogenannte Sonnengeflecht (einen Nervenknoten, der hinter der
Bauchhöhle vor der Wirbelsäule liegt)
- braucht körpereigene Reserven auf.
- wirkt beruhigend und entspannend
- kann die Herztätigkeit verlangsamen
- versorgt über den Gehirnnerv Vagus zahlreiche innere Organe, den
Verdauungstrakt vom Schlund bis zum Darm, die Atmungsorgane
- baut körpereigene Reserven auf
Alle Organe werden normalerweise im Gleichgewicht, meist auch in einem rhythmischen Wechsel von beiden Nervenanteilen versorgt, wobei die sympathische Steuerung den Organismus vor allem leistungsbereit und -fähig macht: Reserven werden dadurch mobilisiert und die Ermüdung hinausgeschoben.
Der Parasympathikus hingegen sorgt für den gegenteiligen Effekt: die Erholung des Körpers, den Aufbau neuer Reserven.
Viele Menschen leben jedoch im Zustand dauernder Anspannung und Anstrengung, gesteigert noch durch Genußmittel. Auch Belastungen und Ärgernisse, denen ein Leben täglich durch Lärm, Hetze, Frustration, Schmerz, Existenzangst und vieles andere ausgesetzt ist, kommen dazu.
„Kaum irgendein Umstand kann schädlicher auf die Gesundheit wirken als die Lebensweise unserer Tage: Ein fieberhaftes Hasten und Drängen aller im Kampf um Erwerb und sichere Existenz. Es ist kein Wunder, wenn Krankheiten soviele Opfer fordern, denn die Menschheit ist weit von der früheren, einfachen, natürlichen Lebensweise abgewichen. Nicht etwa daß die Errungenschaften unserer Zeit geopfert werden müßten, aber es muß ein Ausgleich gefunden werden, es muß das Gleichgewicht hergestellt werden in Arbeit und Lebensweise und im Verbrauch an Nervenkraft.“
(S. KNEIPP)
Stress
Der Begriff „Stress“ wurde 1950 von dem Mediziner Hans Selye geprägt. Zunächst drückt dieser Begriff etwas Negatives aus: Stress bedroht das Wohlbefinden und die Gesundheit. Er scheint ein unvermeidbares Problem zu sein, mit dem wir in unserer Zivilisation ununterbrochen konfrontiert werden. Andererseits aber braucht der Mensch Stress in dosierter Form auch zum Leben! Ein solcher Stress wirkt anregend und stimulierend, kann zu positiven Emotionen und Erfolgserlebnissen führen und dadurch auch das Immunsystem stärken.
Diese Zwiespältigkeit der positiven und negativen Wirkung ließ – insbesondere im Rahmen der modernen Arbeitsmedizin – die Begriffe Eustress (der „gute“, anregende Stress) und Disstress (der „schlechte“, krankmachende Stress) entstehen.
Es ist ein wesentliches Anliegen der Naturheilkunde und insbesondere der KNEIPP-Therapie, den schädlichen Disstress in positiven Eustress überzuführen, indem die Lebensfunktionen des Menschen und somit seine Leistungsbereitschaft verbessert werden.
Kein Lebewesen kann auf Dauer den krankhaften Zustand einer ständig überhöhten Leistungsbereitschaft ohne den Ausgleich durch ausreichend Erholung durchstehen. Dauert aber dieser Zustand – bei oft gleichzeitig herrschendem Bewegungsmangel und falschen Essgewohnheiten – an, so kommt es irgendwann zur Erschöpfung bzw. zum Ausbruch von Krankheiten, die sich zunächst in Funktionsstörungen (z. B. Schlafstörungen, Nervosität, Verdauungsbeschwerden, Reizbarkeit, Niedergeschlagenheit bis Depression) äußern und später in eine Organerkrankung übergehen können (von chronischer Magenschleimhautentzündung über das Magengeschwür bis hin zur bösen Entartung z. B. bei andauerndem Sodbrennen).
Kampf oder Flucht
Eine wesentliche Funktion des vegetativen Nervensystems besteht darin, den Menschen in Gefahrensituationen entweder zur Auseinandersetzung oder zur Flucht leistungsbereit zu machen: Hierfür werden kurzfristig körperliche Reserven mobilisiert – dann steigt der Blutzucker, die Blutfettwerte und der Blutdruck erhöhen sich, Herzschlag und Blutkreislauf beschleunigen sich, die Bronchien erweitern sich für eine bessere Sauerstoffaufnahme; auch Schmerzen werden durch die Ausschüttung von Hormonen (Endorphine) unterdrückt. Sogar die Blutgerinnung ändert sich für den Fall von Verletzungen. Der Nacken wird angespannt.
Heute befindet sich das vegetative Nervensystem in dieser ständigen Alarmbereitschaft, ohne dass die bereitgestellten Energien durch körperliche Betätigung verarbeitet werden würden. Dies trägt auf Dauer zur Entstehung der bekannten Zivilisationskrankheiten bei: Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, erhöhte Blutzuckerwerte, sinkende Abwehrleistung des Immunsystems … Auf diesem Weg der geschwächten Abwehrlage steigt schließlich auch die Anfälligkeit gegenüber Infektionen, die Nieren werden durch ständige Erregung geschädigt, dadurch die Blutreinigung vermindert und die Tendenz zu Schäden am Gefäß- und Kreislaufsystem (Arteriosklerose) verstärkt. Die Gerinnungsbereitschaft des Blutes wird erhöht, was letztlich eng mit Herzinfarkt, Thromboseneigung (Schlaganfall) und Durchblutungsstörungen zusammenhängt. Auch eine Rückwirkung auf die übergeordnete Hormondrüse (Hypophyse) ist bekannt, was zu weiteren Folgeschäden im übrigen Hormonhaushalt (z. B. der Schilddrüse) führt.
Anwendungsbeispiele für lebensordnende, verhaltenspräventative Maßnahmen nach KNEIPP:
Das Zusammentreffen mehrerer Risikofaktoren für Arteriosklerose und nachfolgende Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall („Risikokonstellation“: Hoher Blutdruck, Bewegungsmangel, Blutfetwerte, Harnsäure, Diabetes)
Tipps zur Entspannung
Ein wiedererlernter Ausgleich zwischen Anspannung und Erholung bei einer positiven Lebenseinstellung und solchen Wertmaßstäben, die nicht jedes Ärgernis gleich zum Problem werden lassen, sowie ausreichende körperliche Bewegung bei richtig zusammengesetzter Ernährung und mit Unterstützung mild wirkender Heilpflanzen trägt viel zum vegetativen Ausgleich bei und vermag die Krankheitsbereitschaft insgesamt zu reduzieren.
"Das ganze Leben des Menschen ist eine Schule. Tag für Tag geht jeder in diese Schule; Tag für Tag kann er lernen und sich üben. Dieses dauert bis zum Sterben. Glücklich ist der Mensch, der es versteht und sich bemüht, das Notwendige, Nützliche und Heilsame mehr und mehr sich anzueignen!"
(S. KNEIPP)